ich hab dir nichts versprochen
18.
November
2022
- nur ein paar schritte
- durchs fegefeuer
-
kalt hatten wir nie
- nur eine hand voll
- schnee im licht
-
wir tranken das wasser
- nur eine amsel
- gesang vom baum
-
wir entwurzelten ihn
- das feuer brannte
- fegte über die worte
-
funken streunten durch die asche
- unsere augen tränten im rauch
geb. 1951. Verschiedene Ausbildungen u.a. Buchhändlerin/ Bibliothekarin. 2005 – 2008 Studentin am Deutschen Literaturinstitut der Universität Leipzig. Mehrere Veröffentlichungen: Lyrik/ Prosa/ Roman. Zuletzt: «schnee relief» (2020, Wolfbach), «Im Tal» (2022, Edition Bücherlese). Wurde mehrfach ausgezeichnet.
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Kommentar
Nick Lüthi
Schreibt und spricht über Bücher aus unabhängigen Verlagen für diverse Medien. Veröffentlichung von Gedichten in diversen Literaturzeitschriften.
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Ein nie gegebenes Versprechen steht ganz zu Beginn von Lisa Elsässers Gedicht. Die Angesprochenen bleiben aber während des ganzen Gedichts stumm, es bleibt deshalb im Dunklen, warum das lyrische Ich diese Rechtfertigung überhaupt formuliert. Der Wunsch nichts versprochen haben zu wollen, erscheint aber konsequent in der Welt, die das Gedicht danach zeichnet. Der Gang durchs Fegefeuer ist kein gemütlicher. Zwar muss man die Kälte nicht mehr fürchten und auch Wasser hat es dank des geschmolzenen Schnees genug, trotzdem tränen die Augen im Rauch und löschen die Worte aus. Es wird zwar nie direkt gesagt, aber es ist eine Welt, in der man nicht mehr leben will. Wer Auslöser dieser Hölle auf Erden ist, erfahren wir nicht (von religiösen Tradierungen abgesehen), aber doch scheint das Fegefeuer von uns entfacht worden zu sein. Zumindest haben «wir» die Bäume entwurzelt, die dem Fegefeuer als Zunder dienen könnten. Das Gedicht liefert weitere Anhaltspunkte, die für einen Indizienprozess geltend gemacht werden können: Die ersten drei Strophen sind durch das einleitende «nur» geeint, damit andeutend, dass keine Absicht vorherrschte, oder zumindest keine, die alle Konsequenzen berücksichtigt hätte. Es waren «nur ein paar schritte», «nur eine hand voll», «nur eine amsel», die schlussendlich ins Verderben geführt haben.
Lisa Elsässers Gedicht lebt von diesem geschaffenen Zwischenraum, der zwischen Eindeutigkeit und Andeutung oszilliert. Zwar scheint es eindeutig, dass es im Gedicht auch um den menschengemachten Klimawandel geht, aber nie explizit, sondern nur an den Indizien entlanggehangelt. Stark wird das Gedicht aber nicht, weil es seine Kritik nicht in aller Explizitheit formuliert, sondern weil es ein grosses Thema auf eine persönliche Ebene herunterbricht. Wir wissen zwar wenig über die beiden Personen, über das angesprochene Du, das sprechende lyrische Ich, die Wir-Konstellation, aber wir merken, dass die Begegnung eine persönliche ist. Anders kann ein Versprechen gar nicht funktionieren. Das Gedicht verschiebt seinen globalen Blick aufs Lokale, damit wird auch das einleitende «nur» zweideutig, weil es auf der persönlichen Ebene immer nur den Einzelfall, immer nur die Inzidenz, ein «nur» geben kann. Jede*r muss für sich aus den gesammelten (erlebten) Indizien die notwendigen Schlüsse ziehen, gerade dann, wenn kein Versprechen vorliegt.